Auf den ersten Blick vermutet man nicht, dass für Heidi Stäger das Abitur die Erfüllung eines Lebenstraumes bedeutet. Die 38-Jährige aus Bergisch Gladbach bei Köln ist mit Leib und Seele Mutter von vier Kindern und hatte ihre berufliche Erfüllung als Diakonin gefunden. Doch ihren Traum, Fremdsprachen zu studieren, hat das bayerische Mädchen aus bäuerlichen Verhältnissen auch als erwachsene Frau nie vergessen. Was ihre Eltern ihr verboten haben, holt sie heute mit großer Unterstützung ihres Mannes nach: Per Fernunterricht schaffte sie in nur zwei Jahren die Abitur-Prüfung und belegt nun gleich zwei Fernstudiengänge parallel.
Für ihre besondere Lernsituation und ihr überdurchschnittliches Lerntempo kürte eine unabhängige Jury des Deutschen Fernschulverbandes e. V., Hamburg, Heidi Stäger zur "Fernschülerin des Jahres 2002". Der Preis wurde ihr am 25. März 2003 in Berlin von dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Dr. Uwe Thomas, verliehen.
Heidi Stäger wuchs als älteste von sechs Geschwistern in sehr einfachen Verhältnissen auf. "Wir hatten kein Buch zu Hause", erinnert sie sich. "Ich passte auf meine jüngeren Geschwister auf, half auf dem Hof und sollte maximal den Hauptschulabschluss machen. Das war eben so." Dabei merkte sie schon als junges Mädchen: "Lernen bedeutet Freiheit." Erst der neue Pfarrer im Dorf überredete die Eltern, dass sie wenigstens die Realschule besuchen durfte. Ihre Lehrerin für Englisch und Französisch erkannte ihr Sprachentalent und sagte immer: "Du gehörst auf die Uni." Bis heute hat Heidi Stäger zu ihrer ehemaligen Lehrerin Kontakt: "Dass sie so an mich geglaubt hat, hat mir immer wieder Mut gemacht."
Nach der Realschule machte Heidi Stäger zunächst eine Lehre als Bankkauffrau und arbeitete zwei ein halb Jahre in diesem Beruf. Sie begann sofort zu sparen, um sich eine weitere Ausbildung zu finanzieren. Die Gelegenheit bot sich in Form einer Fachschule mit angeschlossenem Internat in Porta Westfalica, wo eine Ausbildung zur Gemeindepädagogin für kirchliche Bildungsarbeit angeboten wurde. Sie zog von zu Hause aus, lernte drei Jahre und fand im Anschluss eine Anstellung als Diakonin in Bergisch Gladbach. Dort lernte sie ihren heutigen Mann kennen und lieben.
"Meinen Mann möchte ich am liebsten zum 'Fernschulpartner des Jahres' küren", sagt Heidi Stäger. Schon als vor sechs Jahren ihr zweites Kind zur Welt kam, reduzierte der Finanzbeamte seine Arbeitszeit auf 80 Prozent, um sie bei der Kindererziehung zu unterstützen. Als vor drei Jahren das Jüngste der vier Kinder ein Jahr alt war, hat sie mit ihm gemeinsam besprochen, wie sie ihren alten Traum, das Abitur nachzuholen, realisieren könnte. Ohne fremde Hilfe, aber mit einem gut durchorganisierten "Dienstplan" hat das sechs-köpfige "Team Stäger" die Herausforderung gemeistert: "Nur dank der Methode Fernunterricht war und ist es mir in meiner jetzigen Lebenssituation möglich, mich weiterzubilden", betont Heidi Stäger. Den Fernlehrgang "Abitur" beim Institut für Lernsysteme (ILS) in Hamburg absolvierte sie in nur zwei Jahren und schloss die externe staatliche Prüfung mit der Note 2,1 ab.
Rückblickend sagt Heidi Stäger: "Mein Abitur ist ein großer persönlicher Triumph für mich. Ich habe gelernt, dass ich für mein Leben selbst verantwortlich bin und es in wesentlichen Aspekten jederzeit selbst gestalten kann." Zwar habe sie immer interessengeleitet gelernt, aber zugleich mit Erwerbsabsichten. So hat sie bisher in jedem ihrer erlernten Berufe gearbeitet und will das natürlich auch in Zukunft tun, zum Beispiel als Übersetzerin im sozialwissenschaftlichen Bereich. Hierauf bereitet sie sich mittlerweile mit zwei weiteren Fernstudiengängen vor.